- Die Zentralbanken werden die Inflation voraussichtlich auch 2023 genau im Auge behalten.
- Die Energiekrise dürfte Europa weiter in Atem halten.
- In China erwarten wir ein holpriges Ende der Null-Covid-Politik.
- Unsere längerfristigen Renditeprognosen sind seit dem vergangenen Jahr erheblich gestiegen.
Auf dem Weg ins Jahr 2023 haben unsere Volkswirt:innen vier Schlüsselthemen identifiziert, die die wirtschaftliche Entwicklung im kommenden Jahr prägen dürften: die Wachsamkeit der Zentralbanken im Kampf gegen die Inflation, die wirtschaftlichen Folgen der Energiekrise in Europa sowie die langfristigen strukturellen Probleme Chinas. Doch es gibt auch positive Nachrichten für Anleger:innen.
Kampf gegen die Inflation: wachsame Zentralbanken
Selten war die Entwicklung in der Wirtschaft und an den Märkten so rasant wie im vergangenen Jahr. Mit koordinierten geldpolitischen Eingriffen, die alle Maßnahmen der vergangenen Jahrzehnte in den Schatten stellen, haben die Zentralbanken auf den Anstieg der Inflation reagiert.
Eine global koordinierte Straffung der Geldpolitik

Hinweis: Die gestrichelten Linien stellen die Markterwartungen für die Entwicklung der Leitzinsen per 31. Oktober 2022 dar.
Quellen: Thomson Reuters Datastream und Bloomberg.
Die Entwicklung der Inflation stellt die Zentralbanken vor eine schwierige Aufgabe: Sie müssen die Zügel aggressiver anziehen, was weitere Zinserhöhungen und erhöhte Wachsamkeit erfordert. Die Federal Reserve (Fed) in den USA sieht in der Bekämpfung der Inflation weiteren Handlungsbedarf – und sie scheint entschlossen zu sein, alles Notwendige dafür zu tun.
Wir gehen davon aus, dass etwa die Hälfte des weltweiten Inflationsdrucks angebotsbedingt ist, verursacht durch Lieferengpässe infolge der Pandemie und den Ukraine-Krieg. Die andere Hälfte geht auf die Nachfrage zurück, und hier soll die Geldpolitik Wirkung zeigen.
Im kommenden Jahr könnte der Widerstand gegen weitere Zinserhöhungen jedoch zunehmen, der Fed bleibt also nicht viel Zeit, die Inflation durch weitere Zinsschritte einzudämmen, ohne eine Rezession zu provozieren.
In der Regel wollen Zentralbanken Rezessionen vermeiden, doch um die Preise in der aktuellen Lage zu stabilisieren, bleibt ihnen kaum eine andere Wahl, als die Finanzkonditionen zu verschärfen. Wir erwarten im kommenden Jahr eine Disinflation, allerdings bei einer gleichzeitigen globalen Rezession.
Energiekrise in Europa: Die Lage bleibt schwierig
2022 hat der Ukraine-Krieg die Volatilität an den Finanzmärkten und den Preisdruck zusätzlich verstärkt, deutlich höhere Erdgaspreise haben die Finanzkonditionen weiter verschärft und belasten die Stimmung. Im Euroraum erwarten wir daher im vierten Quartal eine Rezession.
Positiv bewerten wir dagegen die schnelle Anpassung Europas an den drastischen Rückgang der Gasimporte aus Russland. Wie das nachstehende Diagramm zeigt, hat Europa russisches Gas im Jahr 2022 durch eine Kombination aus anderen Brennstoffen, erneuerbaren Energien, alternativen Gasquellen und bestehenden Reserven ersetzt. Zwar konnten die Europäer so den Angebotsschock mindern; wir gehen dennoch davon aus, dass die Gasnachfrage in diesem Winter um etwa 15 % gegenüber dem Vorjahr zurückgehen muss.
Europäische Gasimporte: Lückenfüller

Quellen: Internationale Energieagentur, Europäische Kommission und Schätzungen von Vanguard; Stand: 31. Oktober 2022.
2023 geht die europäische Gasversorgung von einer viel niedrigeren Basis aus, Mitte bis Ende des nächsten Jahres steuert der Kontinent daher womöglich auf ein Versorgungsproblem zu. Ob auch langfristig Versorgungsengpässe drohen, wird davon abhängen, ob Europa Alternativen zu akzeptablen Preisen findet.
Kurzfristig werden die hohen Energie- und Lebensmittelpreise das verfügbare Realeinkommen der privaten Haushalte weiter belasten, gleichzeitig beeinträchtigt die Unsicherheit über den weiteren Verlauf des Ukraine-Kriegs die Stimmung der Verbraucher.
Chinas Wirtschaft: Aufschwung und strukturelle Probleme
Die chinesische Null-Covid-Politik und die Rezession im Immobiliensektor haben das Wachstum im Jahr 2022 erheblich geschmälert. Im kommenden Jahr erwarten wir ein holpriges Ende der Lockdowns, eine deutliche Lockerung könnte sich durchaus über mehrere Monate hinziehen.
Die Wohnungsbauinvestitionen dürften derweil in den kommenden fünf bis zehn Jahren zurückgehen. Da der Rückgang der Nachfrage strukturell bedingt ist, wird auch eine Lockerung der Auflagen kaum eine Erholung bringen.
Der chinesische Wohnungsmarkt leidet weiterhin unter einem Überangebot, die gestiegene Nachfrage kann das Angebotswachstum nur zum kleinen Teil ausgleichen.

Quelle: Berechnungen von Vanguard auf Grundlage von Daten von Bloomberg; Stand: 31. Oktober 2022.
Steigende Renditeprognosen
Unsere längerfristigen Renditeprognosen sind seit dem vergangenen Jahr erheblich gestiegen. Anleiheinvestor:innen haben kurzfristig unter den höheren Zinsen gelitten, können jedoch jetzt zu höheren Zinsen reinvestieren, weshalb wir für globale Anleihen deutlich höhere Renditen erwarten. Globale Aktienanleger:innen profitieren von den aktuellen Bewertungen, die seit Dezember 2021 drastisch gesunken sind – was langfristig höhere Renditen erwarten lässt. Wir haben unsere annualisierten 10-Jahres-Prognosen für globale Anleihen und Aktien um mehr als zwei Prozentpunkte angehoben:
Für Euro-Anleger:innen erwarten wir in den nächsten zehn Jahren jährliche Anleiherenditen zwischen 2,2 und 3,2% für Anleihen aus dem Euroraum; noch vor einem Jahr lag unsere Prognose bei lediglich -0,5 bis 0,5%. Für globale Anleihen (ohne Anleihen aus dem Euroraum, abgesichert in Euro) erwarten wir in den nächsten zehn Jahren Renditen zwischen 2,1 und 3,1% (zuvor -0,5% bis 0,5%).
Anders ausgedrückt: Das Vermögen von Anleger:innen mit einem angemessen langfristigen Anlagehorizont dürfte Ende des Jahrzehnts höher sein als, wir im vergangenen Jahr vorhergesagt hatten.
Das nachstehende Diagramm bildet die Vanguard Prognosen für den britischen Anleihemarkt ab, für andere Industrieländer erwarten wir jedoch eine ähnliche Entwicklung.
Höhere erwartete Renditen: nicht trotz, sondern gerade wegen des Ausverkaufs

Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist kein verlässlicher Indikator für künftige Erträge. Jegliche Prognosen sollten als hypothetischer Natur betrachtet werden und spiegeln keine zukünftigen Ergebnisse wider bzw. garantieren diese nicht.
Hinweise: Die Grafik zeigt die tatsächlichen Renditen des Bloomberg Sterling Aggregate Bond Index sowie die von Vanguard prognostizierten kumulativen Renditen über die anschließenden 10 Jahre zum 31. Dezember 2021 und 30. September 2022. Die schattierten Bereiche stellen die Spanne zwischen dem 10. und dem 90. Perzentil der prognostizierten Verteilungen dar. Daten per 30. September 2022.
Quelle: Refinitiv und Berechnungen von Vanguard in GBP; Stand: 30. September 2022.
WICHTIGER HINWEIS: Die Prognosen sowie andere Informationen, die von dem VCCM generiert werden und die Wahrscheinlichkeit verschiedener Anlageergebnisse zum Gegenstand haben, sind naturgemäß hypothetisch, stellen keine tatsächlichen Anlageergebnisse dar und garantieren keine zukünftigen Erträge. Die Verteilung der Renditeergebnisse des VCMM wird aus 10.000 Simulationen für jede modellierte Assetklasse abgeleitet. Die Ergebnisse des Modells können mit jeder Nutzung sowie im Laufe der Zeit variieren.
Für Euro-Anleger:innen erwarten wir in den kommenden zehn Jahren Renditen von 4,9 bis 6,9% pro Jahr für Aktien aus dem Euroraum sowie 3,7 bis 5,7% für globale Aktien (ohne Euroraum, ohne Absicherung). Im Vergleich zum Vorjahr sind unsere Prognosen für globale Aktien damit um mehr als zwei Prozentpunkte gestiegen. Der US-Dollar hat in den vergangenen Jahren mehrfach deutlich aufgewertet und liegt nach unserem Kapitalmarktmodell jetzt über dem Wert, der sich aus fundamentalen, langfristigen Faktoren ableiten lässt. In den kommenden zehn Jahren erwarten wir daher eine Abwertung, weshalb unsere Renditeprognosen für globale Aktien jetzt unter den Renditen liegen, die wir für Aktien aus dem Euroraum erwarten.
Im Rückblick auf das Jahr 2022 fällt vor allem der gleichzeitige Kursrückgang an den Aktien- und Anleihemärkten auf. Vollkommen ungewöhnlich ist dieses Phänomen zwar nicht – aber schmerzhaft. Wie unsere Analysen zeigen, kommt es in unregelmäßigen Abständen zu solch einer hohen positiven Korrelation zwischen den beiden Assetklassen. Für langfristig positive Korrelationen, die die Anlageergebnisse stärker beeinflussen würden, wären jedoch lange Phasen konstant hoher Inflation notwendig. Das bedeutet: Für langfristig orientierte Anleger:innen ist ein diversifiziertes Aktien-/Anleiheportfolio nach wie vor ein wirksames Instrument zur Steuerung der eigenen Risikotoleranz.